Oscar Wanless, Vienna Design Week 2013

Vienna Design Week: Leidenschaftliche Kooperationen

Die Besucher sind verblüfft: Bei J. & L. Lobmeyr im Wiener 1. Bezirk gibt es Lollis. In außergewöhnlichen Geschmacksrichtungen immerhin, doch seit bald 200 Jahren ist Lobmeyer eigentlich für feinste Glasarbeiten bekannt. Verantwortlich für das zeitweise erweiterte Produktportfolio ist das Designer-Duo Bertille + Mathieu. Die „Passionswege“ haben die Industriedesigner und die Glasmacher zusammen gebracht, doch dass die Kooperation eine süße Angelegenheit werden würde, hatte wohl zunächst keiner der Beteiligten im Sinn.

Als Tulga Beyerle, Lilli Hollein und Thomas Geisler vor sieben Jahren die „Passionswege“ für die Vienna Design Week erdacht haben, war der anhaltende Erfolg der experimentellen Projekte nicht vorsehbar. Wiener Unternehmen sollten mit österreichischen und internationalen Designern zusammenarbeiten, lokale Produktionsstätten wieder entdeckt und belebt werden. Auf die Auswahl der Designer haben die Unternehmen, meist kleine Handwerksbetriebe und Werkstätten, keinen Einfluss. Die Entscheidung über die Paarungen liegt in den Händen der Veranstalter der Vienna Design Week, die auch die Arbeit der Designer finanzieren. Eine bemerkenswerte Konstellation, die es den Beteiligten jedoch erleichtert, bei der Zusammenarbeit nicht direkt den kommerziellen Erfolg in den Blick zu nehmen, sondern in einem dialogischen Prozess die eigene Perspektive zu hinterfragen.

Ohne wirtschaftlichen Zwang werden bei den „Passionswegen“ handwerkliche Traditionen erforscht und Bestehendes reflektiert. Die Designer schätzen die Unbestimmtheit der Aufgabenstellung, die Unternehmen allerdings tun sich bisweilen schwer, auf einen Weg einzuschwenken, dessen Ziel nicht eindeutig ist. Ein Projektformat also, das Anforderungen stellt an beide Seiten und vielleicht eine Vorstellung davon liefern kann, wie Designprozesse in Zukunft aussehen werden. Produzenten und Gestalter arbeiten weniger innerhalb tradierter Produktkategorien, sondern gehen einen Dialog ein, der Vorstellungswelten formuliert, die deutlich über das Bestehende hinausgehen.

Typisch für die „Passionswege“ ist deshalb wohl die Vielfalt der Ergebnisse. Bei der Manufaktur Wäscheflott werden seit 1948 Maßhemden aus feinen Stoffen produziert. Für die Designer chmara.rosinke Anlass genug, den Fertigungsprozess der Hemden genauer in Augenschein zu nehmen. Das polnisch-österreichische Duo entwarf und fertigte ein Paravent ähnliches Möbel mit Spiegel, Hacken und Ablagen, welches die Arbeitsabläufe thematisiert und nun die Arbeit der Schneider unterstützt. Fast nebenbei haben die Designer das kleine Ladenlokal im Schatten von Hofburg und Albertina umstrukturiert und dem Betrieb damit eine neue Orientierung gegeben.

Sebastian Herkner ist von der stofflichen Qualität im Traditionsunternehmen „Zur Schwäbischen Jungfrau“ fasziniert. Seit 1720 steht der Laden fast synonym für feinste Tisch- und Bettwäsche aus Wien. Herkner griff die Kultur der Monogramm-Stickerei auf und ersann eine zeitgemäße Methode, Wäsche zu individualisieren. Speziell entwickelte Buchstabenformen aus Buche und Messing ermöglichen es, mit Hilfe eines Heißelements Initiale in Stoff zu prägen. Eine dezente und elegante Lösung, die allerdings bei der nächsten Vollwäsche verschwindet. Bei der oft traditionellen Kundschaft kommt die neue Flüchtigkeit gut an und der Juniorchef denkt darüber nach, das Prägen von Monogrammen langfristig ins Angebot der „Schwäbischen Jungfrau“ aufzunehmen.

Bei Riess Email hat Oscar Wanless die gängigen Fertigungsregeln in Frage gestellt. Der Brite experimentierte bei der Ybbsitzer Firma mit „falschen“ Positiv- und Negativformen in der Metalldrückmaschine. Eine Arbeitsweise, die beim Unternehmen einige Geduld erforderte, letztlich aber auch das beachtliche Potential und das Wissen der Mitarbeiter freilegte. Die präsentierten Schalen, Teller und Becher besitzen nun fast freie, „rüschenhafte“ Geometrien, die mit den gradlinigen Tischen, Stühlen und Regalelementen kontrastieren, aber doch über das pastellige Farbklima verbunden sind.

Weit entfernt von Verwertbarkeit erscheint die Installation, die Hilda Hellström für den Familienbetrieb Fessler Kamine erarbeitet hat. Jenseits konkreter Ofen- oder Kaminformen zielt die kreisrunde Arbeit auf die Verdeutlichung der Wirkung von Feuer und Wärme auf den Menschen. Neben der körperlichen Wärme wird die emotionale Ebene deutlich. Eingebettet in Schamott-Steine schwimmen Aluminiumkugeln auf flüssigem Zinn und verleiten die Besucher dazu, mit feuerfesten Schiebern den Fluss und die Konstellationen der Metalle immer wieder zu verändern. Die Anziehungskraft von Wärme ist unwiderstehlich, kein Grund zur Sorge also für Kamin- und Ofenbauer.

Bei den Kunden von Lobmeyr ist das süße Verlangen angesichts des neuen Angebots groß, kann aber während der Vienna Design Week täglich befriedigt werden. Bertille Laguet und Mathieu Rohrer produzieren in der „Experimental Sweet Factory“ Lutscher in Handarbeit. Was Lutscher mit der Glasmanufaktur Lobmeyr zu tun haben? Das Duo aus Lausanne nutzt eine kristallklare Zuckermasse für die Lollis, Gravurmuster von Lobmeyer-Gläsern werden während der Herstellung aufgeprägt, die Formen sind frei und extravagant wie bei vielen Produkten von Lobmeyr. Auf mehreren Ebenen ziehen die Designer Analogien zur Herstellung der Glaswaren, fast spielerisch werden die Prozesse übersetzt. Geschmacksrichtungen wie Zimt, Lavendel und Bergamotte unterstreichen zusätzlich die Exklusivität.
Nun könnte man über Geschmack trefflich streiten, über die treffsicheren Designlösungen der „Passionswege“ eindeutig nicht.